So manch einer stellt sich folgende Frage: Warum unterscheiden sich die Meinungen der Gelehrten bezüglich religiöser Angelegenheiten, während doch die Grundlagen für deren Isthihad (Urteilsfällungen) identisch sind?
Einleitend zu dieser Frage, muss folgendes bekannt sein:
Punkt 1: Zuerst einmal sollte gesagt sein, dass es kaum dazu kommt, dass ein Gelehrter eine Handlung als Wajib (Pflicht) einstuft, während ein Anderer die gleiche Handlung als Haram (verboten) ansieht. Es sind meistens nur kleine Details, die eine Fatwa vom Umfang her betreffen.
Punkt 2: Meinungsverschiedenheiten sind keine Mangelerscheinungen, im Gegenteil, sie sind eher ein Zeichen dafür, dass das Wissen mit progressiven Schritten in Richtung der Perfektion wandert. So gibt es beispielsweise in der Medizin verschiedene Meinungen, wie gewisse Krankheiten geheilt werden können. Jedoch entwickeln sich im Laufe der Zeit weitere Meinungen, welche die gewissen Krankheiten in einem besseren Umfang heilen könnten. Folglich heißt dies, dass ein wohl möglich besserer Weg gefunden wurde, während jedoch die alten Wege nicht unbedingt falsch sein müssen.
Ayatullah al Hakeem, ein anerkannter und noch lebender Marja3, äußerte sich bezüglich der obigen Frage wie folgt:
Es liegt in der menschlichen Natur, dass Meinungsverschiedenheiten in allen Bereichen existieren, auch hinsichtlich der islamischen Rechtssprechung (Fiqh), da diese zu den Wissenschaften zählt, die von tiefgründigen und detaillierten Ableitungen (Herleitungen) abhängt, sowie auch andere Wissenschaften. Dementsprechend ist es eine natürliche Begebenheit bezogen auf die Wissenschaftler, dass diese zu verschiedenen Ergebnissen kommen, solange sie frei und objektiv denken […].
Quelle: http://english.alhakeem.com/pages/quesans/listgroup_ques.php?Where=156
Respektiere den Ishtihad eines Gelehrten – Begriffserklärung
Den Begriff Ishtihad könnte man in Kurzform wie folgt erläutern: Ein Gelehrter formt seine Meinung bzw. Ansicht hinsichtlich einer Angelegenheit. Hierbei geht er mit seinem Studium bzw. mit seiner Recherche so weit es nur geht, um folglich sein Urteil (beispielsweise eine Fatwa) zu fällen. Solch ein Weg wird von Allah (swt) erwartet, um von einem richtigen Weg des Ishtihads zu sprechen.
Die Besonderheit?
Fällt der Gelehrte, trotz seiner langen Recherche, ein falsches Urteil (eine Fatwa), so ist dieser samt seiner Befolger bei Allah (swt) entschuldigt. Denn der Gelehrte ging seiner Pflicht nach und tat dies, was Allah (swt) ihm auferlegte (lange Recherche etc.) und was menschlich gesehen möglich war. Das Angesprochene geht aus Überlieferungen hervor. Des Weiteren sind die Gelehrten nicht unfehlbar in ihrer Urteilsfällung.
Die Frage, die sich hier stellt: Möchte man über eine Fatwa spotten, die wohl möglich ohnehin schon von Allah (swt) verziehen wurde?
Spucke nicht auf die riesige Verantwortung eines Gelehrten – Unsere Beobachtung
Beginnen wir gleich mit einer bekannten Überlieferung, um hiernach die Überschrift zu erläutern:
Von ibn Mahbub, von Ibn Riab, von Abu Ubayda, welcher sagte: Abu Jafar (as) sagte: Wer auch immer ohne Wissen oder Führung von Allah (swt) den Menschen eine Fatwa herausgibt, der wird von den Engeln des Friedens und den Engeln der Bestrafung verflucht, während gleichzeitig die Last (Sünde) von jenen, die seiner Futya (Fatwa) nachgingen, an ihm hängen bleibt.
Quelle: Wasail al Shia - Kapitel 4 - Hadith 1
Dementsprechend, spricht ein Gelehrter ohne Wissen und Recherche eine Fatwa aus, so wird dieser für jeden, der seiner Fatwa folgt, bestraft! Nun stellt euch mal vor, dass ein Marja3, der von tausenden oder gar Millionen von Menschen befolgt wird, ohne Wissen und rein nach seiner eigenen Begierde eine Fatwa erlässt. Welch eine Strafe würde da nur auf seinem Haupt lasten?
Genau dieses sollte auf die große Verantwortung eines Marja3s hindeuten. Einige Shiiten, auch speziell im deutschen Raum, spotten über die Fatawas der Gelehrten, bezeichnen diese als Steinzeitgelehrte, Bakris/Batris und Sonstiges. Sie spotten über Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich umstrittener Themen wie Tatbir, Wilayat ul Faqih, Anfang und Ende des Fastenmonats etc.! Sie tun förmlich so, als würden die Maraje3 mit Fatawas um sich schmeißen, ohne dabei einen Weg des richtigen Ishtihads einzuschlagen (Studium, Recherche). Wobei uns die obige Überlieferung doch zeigte, welche Folgen ein solches Vergehen hätte!?
Man sollte es den Maraje3 überlassen, aufzuzeigen und aufzudecken, welche Persönlichkeiten einen falschen Ishtihad einschlugen und zu erläutern, warum und weshalb. Sie kennen die Richtlinien hierfür.
Sobald dein Verstand ein Urteil nicht versteht, solltest du nach dem Weg fragen, der zu diesem Urteil führte und nicht gleich einen anderen Weg begehen, den Weg des Verurteilens.
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